»Die ‚wahren Retter‘ der Frauen«

Ein Mann in einem Herkules-Kostüm und dem Gesicht einer Statue hält einen Dreizack in der Hand. Daneben hüpft eine Person mit Superhelden-Umhang und Puppenkopf auf einem Hüpfball. Die Person streckt den Arm wie Superman nach vorne.

Superman by day, Antifeminist by night?
Gewaltbetroffene brauchen keine falschen Retter, sondern Selbstbestimmung.

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»Die ‚wahren Retter' der Frauen«

Einseitiger Blick auf die Situation gewaltbetroffener Frauen

Wer sind die „wahren Beschützer von Frauenrechten“? Natürlich Antifeminist*innen … Das ist zumindest das Bild, das sie gerne von sich zeichnen. Denn schließlich seien sie die einzigen, welche die „wirklichen“ Probleme zum Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Deutschland ansprechen: „Zwangsheirat“, „Kinderehen“, „Genitalverstümmelung“ und sogenannte „Ehrenmorde“. Diese müssen ohne Zweifel politisch und gesellschaftlich angegangen werden. Dass in dieser Liste aber andere Formen von Gewalt fehlen, ist kein Zufall: Im antifeministischen Narrativ wird geschlechtsspezifische Gewalt durch Migration „eingeschleppt“ und geschieht entsprechend nur in bestimmten Gruppen und Formen. Nicht selten stützen sich derartige Diskussionen auf die Statistiken von Frauenhäusern, in denen der Anteil an Frauen mit Migrations- und Fluchterfahrungen in den vergangenen Jahren gestiegen ist.1 In diesem Weltbild kommen betroffene Frauen lediglich als hilflose Opfer und migrantisierte2 Männer als frauenfeindliche Täter mit rückständigen Einstellungen vor. Ob die Männer wirklich Migrationserfahrung haben, spielt keine Rolle, Schwarze Männer und Männer of Color3 werden generell als „nicht-deutsch“ und Täter dargestellt. Der Politik werfen Antifeminist*innen vor, dass sie die Täter schützen und ihnen Narrenfreiheit gewähren würde.

Schutz vor feministischen Flausen?

Das Thema Gewalt gegen Frauen ist nur ein Bereich, in dem sich Antifeminist*innen zu Retter*innen von Frauen und der gesamten Gesellschaft stilisieren. Weitere Feindbilder? Der „Gleichstellungstotalitarismus“ und der „Genderwahn“! Denn für Antifeminist*innen gibt es den Gender-Pay-Gap einfach nicht, und Frauen haben es auch nicht schwerer, in Führungspositionen zu kommen. Deshalb verunglimpfen sie die Arbeit von Gleichstellungsbeauftragten als systematische Benachteiligung von Männern.4 Gender Mainstreaming5 wolle Männer und Frauen gleich machen und z.B. Frauen daran hindern, ihrer „von Natur aus gegebenen weiblichen Bestimmung“ zu folgen: zuhause bleiben und sich um die Familie kümmern. Ein Strippenzieher des „Gender-Gagas“ seien die Geschlechterstudien bzw. Gender Studies. Diese seien unwissenschaftlich und ideologisch aufgeladen und sollten deswegen abgeschafft werden.6 In anderen Worten: Antifeminist*innen behaupten, dass sie die „armen Frauen quasi vor sich selbst retten“, indem sie gegen Feminismus und Gleichstellungsmaßnahmen vorgehen – na schönen Dank auch.

Wie sieht die Realität aus?

Geschlechtsspezifische Gewalt

Geschlechtsspezifische Gewalt ist ein grundlegendes Problem: 40 Prozent der Frauen in Deutschland haben seit ihrem 16. Lebensjahr körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erfahren. Jede vierte Frau erlebt Gewalt durch den (Ex-)Partner. Geschlechtsspezifische Gewalt geschieht vor allem im sogenannten sozialen Nahraum, also durch bekannte Personen wie Partner*innen, Familienmitglieder, oder Bekannte.7 Im Jahr 2020 hat das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen über 80.000 Kontaktaufnahmen registriert.8 Im selben Jahr lebten über 6.000 Menschen in Frauenhäusern.9 Es trifft zu, dass der Anteil an Frauen, die nicht in Deutschland geboren sind, gestiegen ist. Die Gründe dafür sind jedoch vielfältig und selbst Ausdruck von Diskriminierung. Denn ein wichtiger Schritt bei häuslicher Gewalt ist, sich erstmal aus dem gewaltvollen Umfeld zu entfernen. Aber wohin, wenn auf dem Wohnungsmarkt strukturelle (rassistische) Diskriminierung herrscht, das soziale Netzwerk noch nicht so ausgebaut ist oder das Geld für eine kurz- und mittelfristige Unterkunft nicht ausreicht? Für geflüchtete Frauen kommen außerdem strikte Wohnsitzauflagen hinzu.1 Häusliche Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem – die BKA-Statistiken zeigen, dass zwei Drittel der Betroffenen deutsche Staatsangehörige sind.10 Die Gewalt findet also überall statt. Die Entscheidung, ersten Schutz in einem Frauenhaus zu suchen, wird wiederum von anderen, vielfältigen Faktoren beeinflusst.

Zwangs- und Kinderehen sowie weibliche Genitalverstümmelung sind in Deutschland rechtlich verboten.11 Dennoch wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen.12 Aber der Staat und die Gesellschaft schauen nicht weg. Es gibt zahlreiche Initiativen, Arbeitsgruppen und Beratungsstellen, die Betroffene unterstützen und für die Abschaffung dieser Gewaltform kämpfen.13 Diese Arbeit wird von Antifeminist*innen indes gerne verschwiegen.

Gleichberechtigung in Deutschland

Wie steht es um die Gleichberechtigung in Deutschland? Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) hat Gleichstellungsdaten seit den 1990er Jahren ausgewertet. Die Zahlen zeigen nur den Vergleich zwischen Frauen und Männern, weitere Geschlechter werden nicht berücksichtigt. Die Anzahl an erwerbstätigen Frauen ist stark gestiegen und kommt fast an das Niveau der Männer heran. Aber Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit (vor allem, wenn sie Kinder haben), in Minijobs und in Branchen mit niedrigerer Bezahlung.14 In der Wirtschaft sind immer noch nur ein Drittel der Führungskräfte Frauen.15 Dies führt dazu, dass der Gender-Pay-Gap 2020 bei satten 18 Prozent lag. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Männer im Durchschnitt über 400 Euro mehr Altersrente im Monat beziehen als Frauen.16 Ein weiteres großes Problem ist der Gender-Care-Gap, also der Unterschied zwischen unbezahlt geleisteter Sorge- und Pflegearbeit, z.B. in der Kindeserziehung oder der Pflege kranker und alter Angehöriger. Hier übernehmen Frauen immer noch deutlich mehr Stunden als Männer, für die sie jedoch kaum entlohnt werden.17 Deutschland ist von echter Gleichstellung also noch weit entfernt. Dennoch zeigen die Zahlen auch, dass politische Gleichstellungsmaßnahmen Wirkung zeigen. Dass Antifeminist*innen diese nun als männerdiskriminierend verteufeln, ist geradezu perfide, aber nicht verwunderlich. Schließlich sind Realitätsverschiebung und –umkehrung klassische Bestandteile der antifeministischen Strategie.

Feministische Forderungen

1. Schluss mit dem White-Savior-Komplex18

Der Gedanke, dass (weiße) europäische Menschen „die unterdrückte nicht-europäische Frau“ retten müssten, ist sehr alt.19 Er diente teilweise sogar als Rechtfertigung für Kriege und militärische Intervention, siehe Afghanistan. Um diesen Strukturen entgegenzuwirken gilt die Devise: zuhören, nachdenken, informieren, nachfragen, unterstützen. Die betroffenen Frauen sind keine einheitliche Gruppe, jede macht individuelle Erfahrungen. Betroffene Personen wissen am besten, welche Maßnahmen nötig sind, um gegen die Gewaltformen anzukommen. Nicht-betroffene Personen können dabei unterstützen, sollten sich aber nicht in den Vordergrund drängen.

2. Betroffene entscheiden, was sie brauchen

Geschlechtsspezifische Gewalt geschieht nicht im luftleeren Raum, sie ist immer in den gesellschaftlichen Kontext eingebettet und zeigt sich in unterschiedlichen Formen. So erleben Betroffene in Abhängigkeitsverhältnissen (z.B. bei unsicherem/abhängigem Aufenthaltsstatus oder bestehenden Betreuungs- oder Pflegeverhältnissen) und queere Menschen, Menschen mit Behinderungen und Menschen, die von Rassismus betroffen sind, häufiger geschlechtsspezifische Gewalt, Stichwort: Intersektionalität20! Im Zugang zu Unterstützung und bei der Frage, ob ihnen ihre Gewalterfahrungen überhaupt geglaubt werden, müssen sie mit zusätzlichen Hürden und weiterer Gewalt kämpfen.
Um gute Gegen- und Präventionsmaßnahmen ergreifen zu können, sind u.a. folgende Fragen entscheidend:

  • Wer ist in welchen Situationen aus welchen Gründen von Gewalt betroffen?
  • Wie können wir als Gesellschaft Betroffene unterstützen und langfristig die Strukturen verändern, die solche Taten begünstigen?

Die Antwort auf diese Fragen können nur zusammen mit Betroffenen formuliert werden.

3. Gegen antifeministische Falschbehauptungen

Die Verankerung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen im deutschen Grundgesetz und andere politische Maßnahmen waren das Ergebnis eines über Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte andauernden Kampfes. Und dieser ist nicht beendet: Noch immer wird um politische Gleichstellungsmaßnahmen in der Erwerbsarbeit oder den Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt gerungen. Antifeminist*innen versuchen, deren positive Auswirkungen in ihrem Sinne zu verdrehen, indem sie etwa die vermeintliche Diskriminierung von Männern beklagen. Umso wichtiger ist eine klare Kante gegen derartige antifeministische Falschbehauptungen!


  1. Frauenhauskoordinierung e.V. (2020). Statistik Frauenhäuser und ihre Bewohner_innen. Bewohner_innenstatistik 2019 Deutschland. https://www.frauenhauskoordinierung.de/fileadmin/redakteure/Publikationen/Statistik/FHK-Bewohner_innenstatistik_2019_WEB.pdf
  2. Erklärung des Begriffs ‚migrantisiert’: „Der Begriff ‚migrantisiert‘ wird für Personen in Bezug auf einen zugeschriebenen oder tatsächlichen Migrationshintergrund verwendet. Migrantisierung geht mit Prozessen der Rassifizierung und Praxen der Andersmachung (Othering) einher, die Menschen zu Fremden machen und sie an einen Herkunftsort außerhalb Deutschlands bzw. Europas verweisen.“ Siehe: Rise Jugendkultur (o.J.). Migrantisierte Menschen. https://rise-jugendkultur.de/glossar/migrantisierte-menschen/
  3. Erklärung des Begriffs ‚of Color‘: „People of Color (PoC) ist eine Selbstbezeichnung von Menschen mit Rassismuserfahrung. […] Es geht nicht um Hautfarben, sondern um die Benennung von Rassismus und den Machtverhältnissen in einer mehrheitlich weißen Gesellschaft.“ Siehe: Neue deutsche Medienmacher*innen (o.J.). People of Color (PoC). https://glossar.neuemedienmacher.de/glossar/people-of-color-poc/
  4. Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen (BAG) & Amadeu Antonio Stiftung (2018). Antifeminismus als Demokratiegefährdung?! Gleichstellung in Zeiten von Rechtspopulismus. https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2019/09/handreichung_bag_antifeminismus.pdf
  5. Erklärung des Begriffs ‚Gender Mainstreaming‘: „G.-M. ist ein politisches Programm und Instrument, das auf die Gleichstellung von Frauen und Männern zielt. Grundgedanke ist, dass die (möglichen) Auswirkungen aller politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entscheidung auf die unterschiedlichen, männlichen bzw. weiblichen Lebensbedingungen zu berücksichtigen sind.“ Siehe: bpb (o.J.). Das Politiklexikon. Gender-Mainstreaming. https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/17522/gender-mainstreaming/
  6. Heinrich-Böll-Stiftung und Rosa-Luxemburg-Stiftung (2018). „Gender raus!“ 12 Richtigstellungen zu Antifeminismus und Gender-Kritik. https://www.gwi-boell.de/sites/default/files/gender_raus_epdf_2.pdf
  7. bff Frauen gegen Gewalt e.V. (o.J.). Gewalt gegen Frauen. Merkmale und Tatsachen. https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/infothek/gewalt-gegen-frauen/gewalt-gegen-frauen-merkmale-und-tatsachen.html
  8. Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen (2021). Acht Jahre Hilfetelefon. »Gewalt gegen Frauen« Die wichtigsten Zahlen auf einen Blick. https://www.hilfetelefon.de/fileadmin/content/08_Footernavigation/Newsletter/Sondernewsletter_Jahresbericht_2020/Infografik_8Jahre_Hilfetelefon_Gewalt_gegen_Frauen_2021.pdf
  9. Diese Zahl beinhaltet die Informationen von ca. der Hälfte der Frauenhäuser in Deutschland. Frauenhauskoordinierung (2021). Zentrale Ergebnisse der Statistik Frauenhäuser und ihre Bewohner_innen 2020 I Deutschland. https://www.frauenhauskoordinierung.de/fileadmin/redakteure/Publikationen/Statistik/2021-11-15_FHK-Kurzfassung-Statistik_final.pdf
  10. Bundeskriminalamt (2015-2020). Partnerschaftsgewalt. Kriminalstatistische Auswertung. https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/Partnerschaftsgewalt/partnerschaftsgewalt_node.html
  11. Deutscher Bundestag (2017). Zwangsheirat und Minderjährigenehen in Deutschland. https://www.bundestag.de/resource/blob/496956/daf222020d984ee856d5aeccd6c86fc7/wd-7-006-17-pdf-data.pdf
    Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2017). Erste Studie mit Zahlen zur weiblichen Genitalverstümmelung für Deutschland. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/erste-studie-mit-zahlen-zur-weiblichen-genitalverstuemmelung-fuer-deutschland–113908
  12. Fachberatungsstelle gegen Zwangsheirat (o.J.). Infos zu Zwangsheirat. https://www.zwangsheirat-nrw.de/infos-zu-zwangsheirat.html
  13. Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen (o.J.). Infothek – Informationen zu verschiedenen Formen von Gewalt gegen Frauen. https://www.hilfetelefon.de/gewalt-gegen-frauen.html
    Einige Beispiele:
    Lâle und i.bera: https://www.verikom.de/wp-content/uploads/V_LALEibera2019_13.pdf
    Kargah: https://www.kargah.de/index.php?lang=de
    Frauenbegegnungsstätte Utamara: https://www.utamara.org/
  14. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (o.J.). WSI GenderDatenPortal. Erwerbsarbeit. https://www.wsi.de/de/erwerbsarbeit-14617.htm
  15. Statistisches Bundesamt (o.J.). Frauen in Führungspositionen. https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-1/frauen-fuehrungspositionen.html
  16. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (o.J.). WSI GenderDatenPortal. Einkommen. https://www.wsi.de/de/einkommen-14619.htm
  17. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (o.J.). WSI GenderDatenPortal. Sorgearbeit. https://www.wsi.de/de/sorgearbeit-14618.htm
  18. Erklärung des Begriffs ‚White-Savior-Complex‘: „‘White Savior Complex‘ beschreibt ein Phänomen, nach dem sich weiße Menschen aus dem Globalen Norden dazu berufen fühlen, in Ländern des Globalen Südens Entwicklungs-, Aufklärungs- oder Hilfsarbeit zu leisten. […] In der Regel wollen die White Saviours mit ihrem Engagement zunächst ‚etwas zurückgeben‘, bzw. ‚etwas Gutes tun‘ – sie verfolgen also grundsätzlich ethische bzw. moralische Motive. Vielen ist dabei jedoch die historisch verankerte und komplexe Problematik von weißer Dominanz und Vorherrschaft nicht bewusst.“ Siehe: Brückenwind (2020). White Savior Complex. https://brueckenwind.org/bildungsarbeit/white-savior-complex-2/
  19. Weiterführende Literatur:
    Castro Varela, Maria & Dhawan, Nikita (2016). Die Migrantin retten!? Zum vertrackten Verhältnis von Geschlechtergewalt, Rassismus und Handlungsmacht. Österreichische Zeitschrift für Soziologie (Suppl 3) 41: S. 13-28. https://d-nb.info/1120659493/34
    No White Saviors. https://www.instagram.com/nowhitesaviors/?hl=de
  20. Erklärung des Begriffs ‚Intersektionalität’: „Intersektionalität ist ein Begriff, der das Zusammenwirken mehrerer Unterdrückungsmechanismen beschreibt. […] Gemeint ist damit, dass verschiedene Diskriminierungsformen nicht einzeln für sich wirken und einfach zusammengezählt werden können, sondern dass sie sich gegenseitig beeinflussen und so auch neue Formen der Diskriminierung entstehen können.“ Siehe: Vielfalt Mediathek (o.J.). Intersektionalität. https://www.vielfalt-mediathek.de/intersektionalitaet

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