»Sie nimmt mir die Kinder weg«

Über einem Babybett mit Teddybär hängt ein Mobile, an dem neben Mond und Sternen viele Paragraphenzeichen baumeln.

Achtung! Männerrechtslobby
verbreitet Fake News im Familienrecht.

Diesen Beitrag teilen

»Sie nimmt mir die Kinder weg«

Männerrechtslobby im Familienrecht

„Wenn sich Eltern trennen, muss vor allem an das Wohl der Kinder gedacht werden!“ Stimmt. Aber Achtung: Wenn es dann darum geht, das vermeintliche Kindeswohl zu instrumentalisieren, damit gewalttätige Väter regelmäßiges Umgangsrecht erhalten und gewaltbetroffene Mütter als Gefahr für ihre Kinder dargestellt werden, verwandelt sich die feministisch-familienfreundliche Rhetorik in handfesten Antifeminismus. Und zwar in einen, der in Deutschland sehr gut organisiert ist. Dieser Antifeminismus hat es gerade in hoch emotionalen Debatten leichter, Gehör zu finden. Daher ist es umso wichtiger, an dieser Stelle klarzustellen: Im Folgenden liegt der Fokus auf Umgangsrechte im Kontext von Gewalt in Partnerschaften und Familien. Vätern wird NICHT generell der Umgang mit ihren Kindern abgesprochen!

In Deutschland und Europa hat sich eine antifeministische Männerrechtslobby entwickelt, auch Maskulisten genannt, die im Namen von „Väterrechten“ massiv Einfluss auf das Familienrecht ausübt. Diese Lobby argumentiert mit der unumstößlichen Notwendigkeit der Präsenz des Vaters für die Entwicklung des Kindes und fordert mehr Vaterschaft: Väter seien unter allen Umständen – auch wenn Gewalt oder Vernachlässigung vorlagen – notwendige Bezugspersonen und hätten ein Recht auf Umgang.((Familienkammer e.V. Berlin (2019). Kritik an Parental Alienation Syndrome (PAS) nach Richard Gardner. https://advocatusjura.wordpress.com/2019/07/17/kritik-an-parental-alienation-syndrome-pas-nach-richard-gardner/))

Die für Väterrechte genutzten Narrative strotzen vor Schuldverschiebungen: In Umgangsstreitigkeiten nach Trennungen werden Väter häufig als Opfer der übermächtigen Mütter dargestellt. Diese würden die Kinder mit Falschaussagen über die Trennung indoktrinieren und sie gegen die Väter instrumentalisieren. Den Selbstaussagen und Wünschen des Kindes/der Kinder könne aufgrund dessen auch keine Bedeutung beigemessen werden. Zudem stünde der Staat stets auf Seite der Frauen und würde diese bevorteilen.

Partnerschaftsgewalt wird dabei heruntergespielt, die Beweislast umgekehrt oder als Scheinargument der Mütter diskreditiert, welche versuchten, die Kinder vom Vater zu „entfremden“.

PAS als Instrument der Männerrechtler

Männerrechtler bringen seit Jahren das pseudowissenschaftliche „Parental Alienation Syndrome“ (PAS), zu Deutsch „Eltern-Kind-Entfremdung“ oder „Bindungsintoleranz“, in die Diskussionen um Umgangsrechte nach Trennungen ein. Es gibt sogar Versuche, PAS von der Weltgesundheitsorganisation WHO als Erkrankung anerkennen zu lassen – bislang zum Glück ohne Erfolg.((Gunda Werner Institut (2021). Antifeminismus auf dem Weg durch die Institutionen. Strategien und maskulistische Netzwerke. https://www.boell.de/sites/default/files/2021-10/E-Paper%20%C2%ABAntifeminismus%C2%BB%20Endf.pdf
Heiliger, Anita (2001). PAS – eine Fiktion mit schwerwiegenden familienrechtlichen Folgen. https://autonome-frauenhaeuser-zif.de/wp-content/uploads/2021/05/th_01_heiliger_pas.pdf)) PAS ist die Erfindung eines US-amerikanischen Kinderpsychiaters und besagt, dass der negative Einfluss des betreuenden Elternteils, also häufig der Mutter, zu einer Entfremdung und Verweigerung des Umgangs gegenüber dem anderen Elternteil, dem Vater, führe. Negative Reaktionen des Kindes auf den Vater seien nicht „natürlich“ – träten sie dennoch auf, sei das einzig und allein auf die „Manipulation“ durch die Mutter zurückzuführen. Jegliche Bedenken der Mutter bzgl. eines Umgangs mit den Kindern werden grundsätzlich negiert und deren Äußerungen wiederum zum Anlass genommen, der Mutter die Erziehungseignung abzusprechen.

Bei der Anwendung von PAS als Instrument für Väterrechte und entgegen des Willens des betroffenen Kindes geht es also kaum um dessen Wohl, sondern um einen Machtkampf gegen die Mütter und ihre Glaubwürdigkeit. Der Erfinder von PAS selbst hat bestätigt, dass seine Theorie nicht bei Gewalt, Vernachlässigung und Verdacht auf sexualisierte Gewalt anzuwenden ist.((Familienkammer e.V. Berlin (2019). Kritik an Parental Alienation Syndrome (PAS) nach Richard Gardner. https://advocatusjura.wordpress.com/2019/07/17/kritik-an-parental-alienation-syndrome-pas-nach-richard-gardner/))

Auswirkungen maskulinistischer Bemühungen

Schon seit Jahren zeigen all diese antifeministischen Diskussionen und Bemühungen Wirkung. Regelmäßig sprechen deutsche Gerichte Vätern, die zuvor massiv gewalttätig gegen Mütter und auch Kind(er) waren, das Umgangsrecht zu – und das selbst dann, wenn Expert*innen eine weiterhin bestehende Gefährdung durch den Vater attestieren. Gleiches geschieht in Fällen, bei denen Verdacht auf sexualisierte Gewalt gegen das Kind durch den Vater besteht. Gerichte folgen bei diesen Entscheidungen konsequent der Vorstellung, dass ein anwesender Vater besser sei als einer, der sein Kind nicht sehen darf.

Auch in andere Bereiche schleusen antifeministische Männerrechtler seit längerer Zeit ihre Ideen und Narrative ein, so etwa in Coachings für Verfahrensbeistände((Erklärung des Begriffs ‚Verfahrensbeistand‘: Verfahrensbeistände vertreten in familiengerichtlichen Verfahren die Interessen des minderjährigen Kindes. Spezifische gesetzliche Anforderungen an die Qualifikation des berufsmäßigen Verfahrensbeistandes gibt es nicht. Siehe: Dejure.org (o.J.). § 158 Bestellung des Verfahrensbeistands. https://dejure.org/gesetze/FamFG/158.html)) und Fortbildungen für Mitarbeitende von Jugendämtern, Beratungsstellen und Familiengerichten. In der Praxis können diese Narrative in Fällen von häuslicher Gewalt letztendlich zur Aushebelung des Gewaltschutzes((Erklärung des Begriffs ‚Gewaltschutz‘: „Das Gewaltschutzgesetz (GewSchG) schützt grundsätzlich alle Menschen, die von Gewalt oder Androhung von Gewalt betroffen sind. Die Regelungen erfassen dabei sowohl häusliche Gewalt als auch Gewalt außerhalb von Nähebeziehungen. Außerdem bietet das Gesetz Schutz vor unzumutbaren Belästigungen durch Nachstellungen (‚Stalking‘).“ Siehe: Hilfe-Info für Betroffene von Straftaten (o.J.). Mehr Schutz bei häuslicher Gewalt. https://www.hilfe-info.de/WebS/hilfeinfo/DE/EigeneRechteKennen/GewaltschutzGesetz/GewaltschutzGesetz_node.html)) und der Istanbul-Konvention((UN Women (o.J.). Die Istanbul-Konvention. https://www.unwomen.de/informieren/internationale-vereinbarungen/die-istanbulkonvention.html)) führen.

Schlüsselfiguren der deutschen Männerrechtsbewegung stehen in Kontakt mit (inter-)nationalen Akteur*innen und Initiativen aus den Bereichen Anti-Schwangerschaftsabbruch, Anti-Istanbul-Konvention, Anti-„Genderismus“ sowie homo- und transfeindlichen Gruppierungen.((Einige Beispiele:
Diskursatlas Antifeminismus (o.J.). World Congress of Families. https://www.diskursatlas.de/index.php?title=World_Congress_of_Families
Diskursatlas Antifeminismus (o.J.). CitizenGo. https://www.diskursatlas.de/index.php?title=CitizenGo)) Dazu gehören auch fundamentalistische und rechte Gruppen, welche die „traditionelle Familie“ in Gefahr sehen.((Im Zuge der Corona-Pandemie zeigen sich einige maskulinistische Akteur*innen vermehrt in Kreisen der Coronaleugnungs- und Impfgegner*innenszene, vor allem unter dem Deckmantel des vermeintlichen „Kindeswohls“. Siehe: Lüdeke, Ulf (2021). „Lebende Kraken im Impfstoff“: Hier entsteht Deutschlands wirrste Corona-Propaganda. Focus. https://www.focus.de/politik/deutschland/hetze-luegen-und-videotapes-jede-woche-schallt-aus-wohnung-in-berlin-moabit-wirre-anti-impf-propaganda_id_24312976.html)) Zusammengefasst lässt sich die maskulistische Männerrechtsbewegung aufgrund dieser Verknüpfungen mit anderen menschenverachtenden Ideologien als antidemokratisch einschätzen.

Wie sieht die Realität aus?

Gewaltschutz und Umgangsrecht

Deutschland hat die Istanbul-Konvention, mit der Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt bekämpft werden soll, 2017 ratifiziert. Darin steht, dass Gewalt in der Partnerschaft oder Familie in Entscheidungen über Sorge- und Umgangsrechte berücksichtigt werden muss. Da Frauen und Kinder nachweislich häufiger von häuslicher Gewalt betroffen sind((Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2021). Häusliche Gewalt. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeusliche-gewalt/haeusliche-gewalt-80642)), geht es vor allem um ihren Schutz nach der Trennung. Dieser Schutz findet sich zwar in deutschen Gesetzen wieder, in der Praxis hapert es jedoch. Gewaltbetroffene werden immer wieder gerichtlich dazu gezwungen, dem Täter zu begegnen, sei es während der Gerichtsprozesse oder durch zugeteilte Besuchs- und Umgangsrechte des Täters trotz nachweislicher gewalttätiger Vorgeschichten.((Wersig, Maria; Lembke, Ulrike & Meyer-Wehage, Brigitte (2020). Berücksichtigung vorheriger Gewalt in Sorge- und Umgangsverfahren (Artikel 31 IK). Themenpapier 20-7. Deutscher Juristinnenbund. https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st20-07)) Kurz gesagt: Familiengerichte stellen das Umgangsrecht des gewaltvollen Vaters häufig über den Gewaltschutz für Mutter und Kinder. Das Kindeswohl fördert diese Herangehensweise jedoch nicht. Studien belegen, dass häusliche Gewalt auch immer einen Einfluss auf das Kind hat, selbst, wenn es nicht selbst direkt von der Gewalt betroffen ist.((Frauenhauskoordination (o.J.). Folgen der Gewalt für Kinder. https://www.frauenhauskoordinierung.de/themenportal/gewalt-gegen-frauen/folgen-der-gewalt/folgen-der-gewalt-fuer-kinder/))

Fehlende Sensibilisierung bei Fachkräften

Sowohl wissenschaftliche Untersuchungen als auch die Erfahrungen von Beratungsorganisationen zeigen, dass viele Mitarbeitende von Jugendämtern und Familiengerichten nicht ausreichend in den Bereichen geschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt in Partnerschaften und gegen Kinder geschult sind.((Frauenhauskoordinierung e.V. (2019). Projekt Gewaltschutz und Umgangsrecht aus der Perspektive von Frauenhauskoordinierung. https://www.frauenhauskoordinierung.de/fileadmin/redakteure/Publikationen/Rechtsinformationen/2019-11-26_Abschlusspapier_GewSch_und_Umgang_EndfassungNov_final.pdf
White Lily Revolution (2021). Institutionelle Gewalt. Was bedeutet fortgesetzte Gewalt gegen Frauen durch Institutionen? https://whitelilyrev.de/hintergrund-fortgesetzetze-gewalt-nach-trennung/)) Als Teil dieser Gesellschaft sind viele von ihnen natürlich auch nicht frei von Geschlechterklischees, veralteten Rollenbildern und der fälschlichen Annahme, dass Kinder unbedingt „eine Mutter- und eine Vaterfigur bräuchten“. Letztere wurde wissenschaftlich bereits widerlegt.((Respektcheck (o.J.). „Ein Kind braucht Vater und Mutter“. https://respektcheck.de/ressentiment/ein-kind-braucht-vater-und-mutter/
Jurczyk, Karin & Klinkhardt, Josefine (2014). Vater, Mutter, Kind? Acht Trends in Familien, die Politik heute kennen sollte. Verlag Bertelsmann Stiftung. https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/imported/leseprobe/LP_978-3-86793-543-2_1.pdf))

Täterarbeit

Täterarbeit ist indessen weiterhin nur ein Angebot zur Unterstützung und Beratung von gewalttätigen Männern, also in den meisten Fällen keine gerichtlich angeordnete Verpflichtung.((Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. (2009). Standards und Empfehlungen für die Arbeit mit männlichen Tätern. https://www.bag-taeterarbeit.de/images/pdf/Standards_THG_Langfassung.pdf)) In Deutschland fehlt es an flächendeckenden Strukturen für effektive Täterarbeit. Diese wäre allerdings notwendig, um tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen und einen nachhaltigen Abbau geschlechtsspezifischer Gewalt zu erreichen.

Feministische Forderungen

1. Gewaltschutz vor Umgangsrecht

Artikel 31 der Istanbul-Konvention muss auch in Deutschland konsequent umgesetzt werden. Der Schutz von Gewaltbetroffenen und ihren Kindern darf nicht dem Umgangs- und Besuchsrecht des gewaltausübenden Vaters untergeordnet werden. Hierzu gehört auch, die in der Istanbul-Konvention verankerten Gewaltformen ernst zu nehmen – u.a. auch psychische Gewalt. Um weitere Gewalteskalationen zu vermeiden, muss die Teilnahme an Kursen von Täterarbeit-Einrichtungen verpflichtend werden.

2. Feministische und betroffenenorientierte Schulungen

Mitarbeitende und Entscheidungsträger*innen in Familiengerichtsprozessen brauchen verpflichtende Schulungen zu Gewaltthemen. Gerade hinsichtlich der vermehrten antifeministischen Fortbildungen zeigt sich dringender Handlungsbedarf. Hierzu gehört auch eine Evaluation des bisherigen Einsatzes von Verfahrensbeiständen((Erklärung des Begriffs ‚Verfahrensbeistand‘: Siehe Fußnote 4.)). Expert*innen weisen darauf hin, dass die derzeitigen Anforderungen an diese nicht ausreichen. Sie plädieren dafür, nur zertifizierte und gut ausgebildete Personen als solche einzusetzen.((Frauenhauskoordinierung e.V. (2019). Projekt Gewaltschutz und Umgangsrecht aus der Perspektive von Frauenhauskoordinierung. https://www.frauenhauskoordinierung.de/fileadmin/redakteure/Publikationen/Rechtsinformationen/2019-11-26_Abschlusspapier_GewSch_und_Umgang_EndfassungNov_final.pdf
Kniestedt, Fanny (2020). Kein Entkommen, auch nach der Trennung. Deutschlandfunk Kultur. https://www.deutschlandfunkkultur.de/umgangsrechte-und-haeusliche-gewalt-kein-entkommen-auch-100.html)) Zu ihrer Grundausbildung – und der aller Beteiligten – muss eine Sensibilisierung für die Themen geschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt in Partnerschaften und gegen Kinder gehören.

3. Mehr Aufklärung zu antifeministischen Netzwerken im Familienrecht

Der antifeministische Einfluss auf das Familienrecht ist viel zu lange unter dem Radar gelaufen. Bisher wurde das Thema vor allem von Betroffenen und ehrenamtlichen Organisationen sichtbar gemacht. Diese konnten zeigen, dass Männerrechtler verstärkt über das Internet mobilisieren und versuchen, immer mehr Menschen, vor allem Väter, antifeministisch zu radikalisieren. Das Thema „Familienrecht und Kindeswohl“ stellt ein Einfallstor für weitere antidemokratische Narrative und Bewegungen dar. Mehr Aufklärung über die antifeministische Männerrechtsbewegung und die Gefahren für den Gewaltschutz ist dringend nötig.

Comments are closed.