»Gewalttätig gegen Frauen sind nur ‚die Anderen‘«

Aus den Fenstern einer Häuserfassade ragen drei Arme mit ausgestreckten Zeigefingern. Sie zeigen in dieselbe Richtung, weg vom eigenen Haus.

Gewalt gegen Frauen nur dann skandalisieren, wenn man damit rassistische Hetze verbreiten kann?
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»Gewalttätig gegen Frauen sind nur ‚die Anderen'«

Kaum eine Stammtischparole hat sich wohl so erfolgreich durchgesetzt wie das Märchen davon, dass sich Frauen in Deutschland nicht mehr sicher fühlen könnten, weil „so viele ausländische Männer hierherkommen“. In Sozialen Medien wie Facebook und Twitter verbreiten rechte Netzwerke Zeitungsartikel und Falschmeldungen, die von sexuellen Übergriffen bis hin zu Tötungen („deutscher“) Frauen durch „nicht-deutsche“ Männer berichten, um gegen die Migrations- und Asylpolitik zu hetzen. Nicht-weiße Männer werden in diesem Narrativ als per se frauenfeindlich, hypersexuell und rückständig dargestellt im Gegensatz zum „westlichen“ Mann mit seinen „modernen Werten“. Welchen Pass oder Aufenthaltsstatus jemand hat, ist dabei egal: Schwarze Männer und Männer of Color((Erklärung des Begriffs ‚of Color‘: „People of Color (PoC) ist eine Selbstbezeichnung von Menschen mit Rassismuserfahrung. […] Es geht nicht um Hautfarben, sondern um die Benennung von Rassismus und den Machtverhältnissen in einer mehrheitlich weißen Gesellschaft.“ Siehe: Neue deutsche Medienmacher*innen (o.J.). People of Color (PoC). https://glossar.neuemedienmacher.de/glossar/people-of-color-poc/)) werden generell als nicht-deutsch und Täter konstruiert.

Die Kölner Silvesternacht 2015/16

Als ein besonderes Schlüsselmoment wirkte die Silvesternacht 2015/16, in deren Verlauf es zu hunderten Fälle sexualisierter Gewalt kam: Die darauffolgenden gesellschaftlichen Debatten haben das Bild von angeblich pauschal gewalttätigen migrantischen (meist geflüchteten) Männern nachhaltig geprägt.((Debatten über Ereignisse der Kölner Silvesternacht 2015/16: Alva, Laika (2017). Rechte Frauen im antifeministischen Dickicht. Apabiz. https://www.apabiz.de/2017/rechte-frauen-im-antifeministischen-dickicht/
Dückers, Tanja (2018). Die Übergriffe der Anderen. Amnesty International. https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/deutschland-die-uebergriffe-der-anderen)) Gesamtgesellschaftliche Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt wurden natürlich nicht diskutiert – ein wohl bekanntes Muster: Denn rechte Akteur*innen nutzen derartige schlagzeilenträchtige Ereignisse aus, um ihre rassistischen Forderungen in die sogenannte „Mitte der Gesellschaft“ zu tragen. Strukturelle Erklärungen und effektiver Betroffenenschutz? Fehlanzeige!

Wie sieht die Realität aus?

Die Wahrnehmung der deutschen Gesellschaft wird mittlerweile von der Behauptung bestimmt, Migration löse mehr (sexualisierte) Gewalttaten aus. Dabei schreiben Wissenschaftler*innen seit Jahren, dass diese Formel den tatsächlichen Sachverhalt unzulässig vereinfacht. Der Blick hinter die Statistiken zeigt, dass eine ganze Reihe an Faktoren solche Gewalttaten begünstigen kann, weswegen der direkte Vergleich von „weiße deutsche vs. nicht-weiße/nicht-deutsche Männer“ hinfällig ist.((Walburg, Christian (2020). Migration und Kriminalität – Erfahrungen und neuere Entwicklungen. bpb. https://www.bpb.de/themen/innere-sicherheit/dossier-innere-sicherheit/301624/migration-und-kriminalitaet-erfahrungen-und-neuere-entwicklungen/))

Die Rolle der Medien

Dass sich diese rassistischen Bilder dennoch so stark durchsetzen konnten, liegt auch an den Medien: Zum einen schaffen es Straftaten, die von nicht-deutschen Tätern begangen werden, öfter in die Schlagzeilen. Zum anderen wird unterschiedlich über die Täter berichtet: Bei Straftaten von deutschen Tätern wird die Nationalität kaum benannt, bei nicht-deutschen Tätern allerdings nachweislich umso häufiger.((Hestermann, Thomas (2019). Berichterstattung über Gewaltkriminalität. Wie häufig nennen Medien die Herkunft von Tatverdächtigen? Mediendienst Integration. https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Expertise_Hestermann_Herkunft_von_Tatverdaechtigen_in_den_Medien.pdf)) Selbst bei deutschen Tätern wird schnell die (angebliche) Migrationsgeschichte hervorgehoben, um sie als „nicht-deutsch“ zu markieren. So zementiert sich der Gedanke, dass Migration Kriminalität und sexualisierte Gewalt in Deutschland auslösen würde.

Rechte Fake News

Rechte Akteur*innen nutzen die mediale Über-Präsenz des Themas, um Ängste in der Gesellschaft zu schüren. Dabei verbreiten sie strategisch Halbwahrheiten bis hin zu komplett erfundenen Falschinformationen. Halbwahrheiten werden etwa gestreut, wenn sie über europaweite Netzwerke von Fällen sexualisierter Gewalt durch migrierte Männer in anderen Ländern erfahren und diese dann als Beispiele aus dem eigenen Land präsentieren.((Schwarzkopf Foundation (26.08.2021). Online-Talk: „Wie die europäische extreme Rechte transnational zusammenarbeitet“ mit Simone Rafael. https://www.youtube.com/watch?v=w6D5gnxMFrc)) Für Fake News verbreiten sie hingegen – meist im Internet – schlicht gefälschte Statistiken oder erfundene Geschichten von Gewalttaten durch Geflüchtete.((Hass im Netz (o.J.). #Chemnitz – Rechtsextreme Onlinemobilisierung. https://www.hass-im-netz.info/themen/artikel/praxisinfo-chemnitz-rechtsextreme-onlinemobilisierung.html)) Es geht ihnen also nicht um Fakten oder effektiven Betroffenenschutz. Ihr Ziel ist es, „die Anderen“ als alleinige Täter und Ursache des Problems darzustellen. 

Ihre eigene Verantwortung im Umgang mit sexualisierter Gewalt zu hinterfragen kommt ihnen natürlich auch nicht in den Sinn. Denn Fakt ist, dass der Großteil von geschlechtsspezifischer Gewalt im nahen sozialen Umfeld geschieht, wo sich Betroffene und Täter kennen.((bff Frauen gegen Gewalt e.V. (o.J.). Gewalt gegen Frauen. Merkmale und Tatsachen. https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/infothek/gewalt-gegen-frauen/gewalt-gegen-frauen-merkmale-und-tatsachen.html)) Doch die rassistische Instrumentalisierung geht oft mit dem Herunterspielen von Gewalt im eigenen näheren Umfeld oder sogar der eigenen Gewalt einher.

Feministische Forderungen

1. Keine rassistischen Instrumentalisierungen

Geschlechtsspezifische Gewalt ist ein strukturelles und gesamtgesellschaftliches Problem. Die rassistische Vereinnahmung und Aufladung des Themas wird daher nicht zu weniger geschlechtsspezifischer Gewalt führen. Ganz im Gegenteil! Die dauerhafte Hetze schürt vielmehr den Hass in der Gesellschaft, der wiederum in Gewalt gegen migrantisierte((Erklärung des Begriffs ‚migrantisiert’: „Der Begriff ‚migrantisiert‘ wird für Personen in Bezug auf einen zugeschriebenen oder tatsächlichen Migrationshintergrund verwendet. Migrantisierung geht mit Prozessen der Rassifizierung und Praxen der Andersmachung (Othering) einher, die Menschen zu Fremden machen und sie an einen Herkunftsort außerhalb Deutschlands bzw. Europas verweisen.“ Siehe: Rise Jugendkultur (o.J.). Migrantisierte Menschen. https://rise-jugendkultur.de/glossar/migrantisierte-menschen/)) bzw. Schwarze Menschen und People of Color münden kann.

2. Betroffene entscheiden selbst, was sie brauchen

Geschlechtsspezifische Gewalt geschieht nicht im luftleeren Raum, sie ist immer in den gesellschaftlichen Kontext eingebettet und zeigt sich in unterschiedlichen Formen. Dabei wird sie stets auch von weiteren Diskriminierungsformen beeinflusst und verstärkt, wie zum Beispiel Rassismus, Ableismus((Erklärung des Begriffs ‚Ableismus‘: „Er beschreibt die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, indem Menschen an bestimmten Fähigkeiten – laufen, sehen, sozial interagieren – gemessen und auf ihre Beeinträchtigung reduziert werden. Ableismus betont die Ungleichbehandlung, Grenzüberschreitungen und stereotypen Zuweisungen die Menschen wegen ihrer Behinderung erfahren.“ Siehe: Diversity Arts Culture (o.J.). Ableismus. https://diversity-arts-culture.berlin/en/node/44)) und Queerfeindlichkeit((Erklärung des Begriffs ‚Queerfeindlichkeit‘: „Queerfeindlichkeit bezeichnet die Diskriminierung von queeren Menschen“, also z.B. Menschen, die nicht heterosexuell und/oder cis geschlechtlich sind. Siehe: Queer-Lexikon (o.J.). Queerfeindlichkeit. https://queer-lexikon.net/2020/04/29/queerfeindlichkeit/ & Queer-Lexikon (o.J.). Cis. https://queer-lexikon.net/2017/06/15/cis/)) – Stichwort: Intersektionalität((Erklärung des Begriffs ‚Intersektionalität’: „Intersektionalität ist ein Begriff, der das Zusammenwirken mehrerer Unterdrückungsmechanismen beschreibt. […] Gemeint ist damit, dass verschiedene Diskriminierungsformen nicht einzeln für sich wirken und einfach zusammengezählt werden können, sondern dass sie sich gegenseitig beeinflussen und so auch neue Formen der Diskriminierung entstehen können.“ Siehe: Vielfalt Mediathek (o.J.). Intersektionalität. https://www.vielfalt-mediathek.de/intersektionalitaet))!

Um gute Gegen- und Präventionsmaßnahmen ergreifen zu können, sind u.a. folgende Fragen entscheidend:

  • Wer ist in welchen Situationen aus welchen Gründen von Gewalt betroffen?
  • Wie können wir alle als Gesellschaft Betroffene unterstützen und langfristig die Strukturen verändern, die solche Taten begünstigen?

Die Antworten auf diese Fragen können nur zusammen mit Betroffenen formuliert werden, gerade deshalb ist es so wichtig, ihnen zuzuhören!

3. Präventionsarbeit ausbauen

Der Betroffenenschutz muss sich an den vielfältigen Lebensrealitäten der Menschen orientieren. Er setzt dort an, wo sich Gewalt ankündigt oder bereits geschehen ist. Um geschlechtsspezifische Gewalt nachhaltig zu beenden, braucht es darüber hinaus ausgiebige Präventionsarbeit. Dazu gehören sowohl die Täterarbeit (also präventive und akute Arbeit mit Gewalttäter*innen) als auch feministische Bildungsarbeit ab dem Kindesalter. Beide Bereiche müssen verstärkt gefördert werden.

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