Frauenrechte stehen nicht im Widerspruch zur Sicherheit und der Selbstbestimmung von trans Menschen!
»Trans Menschen als Bedrohung für Frauenrechte«
„Trans Frauen sind keine Frauen. Trans Männer sind eigentlich maskuline/androgyne Lesben, welche die lesbische Community an die ‚trans Lobby‘ verloren hat.“ „Nicht-binäre Menschen sind ein reiner Internet-Trend und existieren nicht.“ „Die Rechte von trans Menschen, ja ihre ganze Existenz bedeuten eine Bedrohung für Frauenrechte.“
So oder so ähnlich könnten die Überschriften aktueller transfeindlicher Narrative lauten. Dahinter verbergen sich diverse Aussagen und Falschbehauptungen((Bundesverband trans* (2022). Soll Geschlecht jetzt abgeschafft werden? https://www.bundesverband-trans.de/publikationen/soll-geschlecht-abgeschafft-werden/)) über trans Personen und ihre Lebensrealität. Auch Menschen, die sich eigentlich den Feminismus auf die Fahne geschrieben haben, verbreiten transfeindliche, misogyne Erzählungen und agieren bewusst gewaltvoll gegen trans und nicht-binäre Menschen – dabei stehen vor allem trans Frauen und trans weibliche Personen im Fokus. Transfeindliche Feminist*innen behaupten, dass trans Frauen eine Bedrohung für Frauenräume und Frauenrechte darstellen würden, und verweisen prinzipiell auf die Unumgänglichkeit des wahren „biologischen Geschlechts“. Trans Frauen wird das Frau-Sein abgesprochen, sie werden misgendert((Erklärung des Begriffs ‚misgendern‘: „Misgendern bedeutet, dass eine Person dem falschen Geschlecht zugeordnet und/oder über sie mit dem falschen Pronomen geredet wird. Das kann manchmal unabsichtlich passieren. Es kann aber auch absichtlich, z.B. als Abwertung oder Ablehnung, gemeint sein.“ Siehe: Queer Lexikon (2020). Misgendern. https://queer-lexikon.net/2020/04/29/misgendern/)), diffamiert, verbal angegriffen und als Täter*innen bezeichnet. Verschiedene Formen wissenschaftlich längst widerlegter medizinischer Pathologisierungen werden genutzt, um das Bild der Widernatürlichkeit zu stärken. Von diesem ist der Weg zur Darstellung queerer Menschen als „abnormal“, „pervers“ und „pädophil“ nicht weit. Hinzu kommt die Verbreitung von falschen Informationen bzgl. medizinischer Transitionsschritte((Erklärung des Begriffs ‚Transition‘: „Als Transition wird der Prozess bezeichnet, in dem eine trans Person soziale, körperliche und/oder juristische Änderungen vornimmt, um die eigene Geschlechtsidentität auszudrücken. Dazu können Hormontherapien und Operationen gehören, aber auch Namens- und Personenstandsänderungen, ein anderer Kleidungsstil und viel anderes.“ Siehe: Queer Lexikon (2021). Transition. https://queer-lexikon.net/2017/06/08/transition/)) und was diese z.B. für trans Kinder und Jugendliche bedeuten.((Nicht zuletzt sollen hier auch bei Eltern und Fachkräften Ängste und Unsicherheiten geschürt werden, die sich mit angemessener Aufklärung und dem Wahrnehmen der Informationsangebote entsprechender trans-Beratungsstellen schnell auflösen ließen.))
Selbstbestimmter Geschlechtseintrag als Gefahr?
Mit all diesen „Argumenten“ wird aktuell gegen die geplante Einführung des sogenannten Selbstbestimmungsgesetzes((LSVD (o.J.). Das Selbstbestimmungsgesetz: Antworten zur Abschaffung des Transsexuellengesetz (TSG). https://www.lsvd.de/de/ct/6417-Selbstbestimmungsgesetz)) mobilisiert. Die Änderung des offiziellen Geschlechtseintrages soll durch das Gesetz bald ohne größere Hürden möglich sein((Bisher ist dies für die meisten trans Menschen ein langfristiger, kostspieliger und erniedrigender Prozess.)) und würde eine entwürdigende Prozedur auf Grundlage des bisher geltenden „Transsexuellengesetzes“((LSVD (o.J.). Ratgeber: Änderung des Namens und Personenstands/Geschlechtseintrag nach dem Transsexuellen-Gesetz (TSG). https://www.lsvd.de/de/ct/1473-Ratgeber-Aenderung-des-Namens-und-Personenstands-Geschlechtseintrag-nach-dem-Transsexuellen-Gesetz-TSG)) abschaffen. Einige Stimmen aus feministischen Kontexten behaupten, dass mit der Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes Gewalt gegen Frauen ansteigen würde: In erster Linie würde das Gesetz von gewalttätigen cis Männern genutzt, um sich Zugang zu Räumen wie Frauentoiletten oder Frauenhäusern zu verschaffen.
Transfeindlicher Feminismus nützt vor allem rechten und antifeministischen Akteur*innen
Die als feministisch gerahmten Bedenken sind nahtlos anschlussfähig an antifeministische menschenfeindliche Ideologien und Vereinnahmungen durch rechte und fundamentalistische Akteur*innen. Dabei geht es keinen von ihnen tatsächlich um den Schutz von Frauen, sondern um die Darstellung von trans Personen als Bedrohung. Das eigentliche Ziel ist der Abbau von Rechten und Antidiskriminierungsmaßnahmen. So begründen etwa die Türkei und Polen ihren Austritt aus der Istanbul Konvention damit, dass jene eine Einführung von „Homo- und Transideologie“ durch die Hintertür bedeute und Frauen durch nationale Gesetzgebung bereits ausreichend vor Gewalt geschützt wären.((Queer.de (2021). Türkei aus Homophobie aus Istanbul-Konvention ausgetreten. https://www.queer.de/detail.php?article_id=39327
Wittenius, Marie (2022). Die transnationale Anti-Gender-Bewegung in Europa. Gunda Werner Institut. https://www.gwi-boell.de/de/2022/02/03/die-transnationale-anti-gender-bewegung-europa))
Auf diese Weise finden transfeindliche Argumentationen Zustimmung und Verwendung in allen antifeministischen Kreisen und sind in diversen Medienredaktionen als Meinungsstücke oder „Fachbeiträge“ beliebt. Im Kampf gegen „skurrile Minderheiten“((Queer.de (2021). Die Linke will sich offenbar nicht mehr für die Gleichbehandlung von Minderheiten engagieren. https://www.queer.de/detail.php?article_id=40352)) und „Gender-Ideologie“ prägen sie maßgeblich die öffentliche Debatte über Geschlecht oder geschlechtergerechte Sprache. Trans und nicht-binäre Personen selbst kommen kaum zu Wort. Sie werden aber gleichzeitig als zu vernachlässigende Minderheit dargestellt, die zu viel Rücksicht von der Mehrheitsbevölkerung verlange. Oder es wird die Verschwörungserzählung einer übermächtigen „Translobby“ bedient, die allen Menschen ihre Vorstellung von Geschlecht aufzwingen wolle. Irgendwie auch etwas paradox, oder?
Wie sieht die Realität aus?
Transfeindliche Akteur*innen behaupten im Namen der Frauenrechte vor Gewalt warnen und schützen zu wollen und treten dabei selbst sprachlich äußerst gewaltvoll auf. Die von ihnen artikulierten Befürchtungen entsprechen ihrer transfeindlichen Ideologie, aber nicht der Realität. Frauenrechte und Gewaltschutz stehen nicht im Widerspruch zur Sicherheit und der Selbstbestimmung von trans Menschen.
Aus Ländern, in denen bereits ein selbstbestimmter Geschlechtseintrag möglich ist, gibt es keinerlei Hinweise auf Missbrauch oder einen damit zusammenhängenden Anstieg von Gewalt gegen (cis) Frauen.((LSVD (o.J.). Das Selbstbestimmungsgesetz: Antworten zur Abschaffung des Transsexuellengesetz (TSG). https://www.lsvd.de/de/ct/6417-Selbstbestimmungsgesetz)) Die Annahme, dass cis Männer das Selbstbestimmungsgesetz zur Änderung ihres Geschlechtseintrages nutzen, um Zugang zu Frauenhäusern zu erlangen und dort Gewalt auszuüben, ist absurd. Gewalt gegen Frauen wird zum überwiegenden Teil durch cis Männer ausgeübt, die sich dabei selten an gesetzlich vorgeschriebene Beschränkungen orientieren. Vonseiten der Frauenhäuser werden trans Frauen übrigens nicht als Täter*innengruppe benannt. So äußerte sich die Frauenhauskoordinierung, als eine der bundesweiten Vertretungen der Frauenhäuser in Deutschland, dass ihnen aus der Praxis kein Fall bekannt sei, in dem trans Frauen eine Gefährdung der Sicherheit von Frauenhäusern und ihren Bewohner*innen darstellten.((Frauenhauskoordinierung e.V. (2022). Twitterpost. https://archive.ph/qSnRm)) Glücklicherweise beziehen auch immer mehr Frauenhäuser trans Frauen explizit in ihre Angebote ein.((Frauenhauskoordinierung e.V. (o.J.). LSBTI. https://www.frauenhauskoordinierung.de/themenportal/gewalt-gegen-frauen/spezifische-betroffenengruppen/lsbti))
Trans Personen sind besonders häufig von Gewalt betroffen
Täter*innenschaft aufgrund von Genitalien und angenommenen Chromosomensätzen zuzuschreiben entbehrt jeglicher wissenschaftlicher Grundlage. Doch die weit verbreiteten transfeindlichen (Falsch-)Aussagen hierzu haben verheerende Folgen für trans Menschen. Transfeindliche Kampagnen und deren unkritische mediale Verbreitung verschlechtern das gesellschaftliche Klima gegenüber trans Personen und begünstigen Gewalt und strukturelle Diskriminierung gegen sie. Trans Personen sind selbst besonders häufig von sexualisierter und körperlicher Gewalt betroffen.((Mainz, Sabrino (2022). Zahl der Gewaltvorfälle steigt. Belltower News. https://www.belltower.news/transfeindlichkeit-in-deutschland-zahl-der-gewaltvorfaelle-steigt-127517/
LSVD (o.J.). Das Selbstbestimmungsgesetz: Antworten zur Abschaffung des Transsexuellengesetz (TSG). https://www.lsvd.de/de/ct/6417-Selbstbestimmungsgesetz#selbstbestimmungsgesetz-und-frauen)) Die Fundamental Rights Agency (FRA) kam in einer Studie 2020 zu dem Ergebnis, dass trans Menschen in Europa in den letzten fünf Jahren im Vergleich zu anderen queeren Personen deutlich mehr sexualisierte Gewalt und Belästigung erfahren haben.((European Union Agency For Fundamental Rights (2020). A long way to go for LGBTI equality. https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2020-lgbti-equality-1_en.pdf)) Die Anfeindungen sind so stark und allgegenwärtig, dass sie eine tatsächliche Auseinandersetzung mit (sexualisierter) Gewalt gegen trans Personen verhindern. Dies führt dazu, dass der Ausbau von Unterstützungsstrukturen für trans Gewaltbetroffene gehemmt wird.
Trans Personen waren schon immer Teil feministischer emanzipatorischer Kämpfe. Ihre Forderungen nach Sichtbarkeit und einem gewaltfreien selbstbestimmten Leben sind genau so wenig neu, wie ihre Existenz. Trans Menschen machen unterschiedliche Erfahrungen und haben verschiedene Lebensrealitäten – eine Differenziertheit, welche durch die aktuell stattfindenden Problematisierungen verwischt wird. Vor allem BIPoC trans Menschen und behinderte trans Menschen erleben täglich sehr reale Gewalt und gesellschaftliche Ausschlüsse. Jedes Jahr steigt die Zahl getöteter trans und nicht-binärer Menschen.((Trans Murder Monitoring Project: https://tgeu.org/tmm/)) Auch hier sind vor allem BIPoC und Sexarbeiter*innen betroffen. Studien belegen regelmäßig die hohe Rate versuchter und vollendeter Suizide unter trans Kindern und Jugendlichen.((Klein, Dennis (2020). Mobbing treibt Selbstmordrate unter queeren Jugendlichen nach oben. Queer.de. https://www.queer.de/detail.php?article_id=36211)) Immer wieder sind geflüchtete gewaltbetroffene trans Frauen und andere LGBTIQA+ in Deutschland aus queerfeindlichen und rassistischen Gründen von Abschiebungen bedroht.((Klein, Jeja (2021). Fluchtgründe von Frauen und LGBTI anerkennen. Queer.de. https://www.queer.de/detail.php?article_id=40476)) Auch in Deutschland ist es nicht möglich, ein Leben, ohne rassistische, queerfeindliche Gewalt auf der Straße, im Umfeld oder durch Behörden, zu führen.((Klein, Jeja (2021). BAMF will arabische trans Frau nach Äthiopien abschieben. Queer.de. https://www.queer.de/detail.php?article_id=39585))
Feministische Forderungen
1. Trans Frauen sind Frauen – das steht nicht zur Debatte
Eigentlich sollte es nicht extra gesagt werden müssen, aber zu behaupten, dass trans Frauen Männer seien, die sich als Frauen ausgäben, ist transfeindlich. Trans Frauen sind Frauen, unabhängig von biologischen Faktoren oder Fremd-Zuschreibungen. Niemand bestimmt über das eigene Geschlecht außer der Person selbst. Trans Menschen sind keine „neue Erfindung“, kein Trend, kein Hype.
2. Transfeindlichkeit gesellschaftlich ernst nehmen
Die Lebensrealität von trans und nicht-binären Menschen und vor allem die immense Diskriminierung werden in der Gesellschaft immer noch weitestgehend ignoriert. Trans- und Queerfeindlichkeit wird (auch in feministischen Kreisen) zu häufig widerstandslos toleriert. Mit Scheinargumenten wie „Es gibt wichtigere Themen“ werden die Stimmen von trans Menschen zum Schweigen gebracht. Es braucht mehr Solidarität von cis Personen und mehr Bildungsformate, am besten ab dem Kindesalter: Alle zusammen für ein selbstbestimmtes und gewaltfreies Leben von trans Menschen!
3. Transfeindlichkeit und Mehrfachdiskriminierung entgegentreten
Transfeindlichkeit trifft Menschen, die auch von weiteren Diskriminierungsformen betroffen sind, besonders. Deswegen braucht es z.B. gesetzliche Veränderungen und mehr Sensibilisierung in vielen Arbeitsbereichen. So kann das Asylverfahren sowie die Unterbringung in Sammelunterkünften für LGBTIQA+-Geflüchtete traumatisierend und gefährlich sein. Nur, wenn diese Diskriminierungs- und Gewaltformen zusammen angesprochen und angegangen werden, kann sich die Situation für die Menschen in Zukunft verbessern.