Familie ist, wer sich als Familie versteht. Für Selbstbestimmung und eine feministische Familienpolitik!
»Feminismus schafft die Familie ab«
„Der Feminismus will uns vorschreiben, wie wir zu leben haben! Er will Familien kontrollieren! Und sie am besten ganz abschaffen!” In anderen Worten: Ein emanzipatorischer Familienbegriff sowie geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung würden Menschen in ihrer Lebensführung bevormunden und zu einer Abschaffung der „traditionellen Familie“ führen. Das Thema Familie ist ein leichtes Einfallstor für antifeministische und rechte Weltanschauungen, weil es alle Menschen in gewisser Art und Weise betrifft.
Familie und Gewaltschutz
Insbesondere die Istanbul-Konvention((UN Women (o.J.). Die Istanbul-Konvention. https://www.unwomen.de/informieren/internationale-vereinbarungen/die-istanbulkonvention.html)) des Europarats, die u.a. Gewalt in der Familie und in Partnerschaften bekämpfen soll, ist Antifeminist*innen ein Dorn im Auge. Für sie stellt die Konvention einen Auswuchs „familienfeindlicher anti-westlicher Ideologie“ dar, welche die „natürliche“ Familie bedrohe. Damit meinen sie das Modell Vater-Mutter-Kind, also ein cis-heterosexuelles((Erklärung des Begriffs ‚cis‘: „Damit wird bezeichnet, dass eine Person in Übereinstimmung mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht lebt. […] Somit wurde einer cisgeschlechtlichen bzw. cis Frau bei der Geburt ein weibliches Geschlecht zugeordnet und sie identifiziert sich selbst als Frau. Einem cis Mann wurde bei der Geburt ein männliches Geschlecht zugeordnet und er identifiziert sich auch als Mann.“ Siehe: Initiative intersektionale Pädagogik (o.J.). Cis-Geschlecht. https://www.i-paed-berlin.de/de/Glossar/#cisgeschlecht)) Paar mit Kindern. Im gleichen Atemzug werden andere Geschlechter oder Beziehungs- und Familienformen schon mal als „Niedergang der Nation“((Erklärung des Begriffs ‚Niedergang der Nation‘: Die „Verknüpfung von Untergangsvisionen der Nation mit einer ‚Verweiblichung‘ (und ‚Verschwulung‘) der Gesellschaft.“ Siehe: Diskurs Atlas Antifeminismus (o.J.). Niedergang der Nation. https://www.diskursatlas.de/index.php?title=Niedergang_der_Nation)) bezeichnet. Achtung! In solchen Aussagen finden sich neben antifeministischen auch völkisch-nationale Ideen. Die „klassische Familie“ müsse geschützt werden, weil nur diese „das Staatsvolk hervorbringen“ könne. Die „Rückbesinnung“ auf traditionelle Werte und Geschlechterrollen soll den Trend sinkender Geburtenzahlen, aber auch den vermeintlichen „Bevölkerungsaustausch“((Erklärung des Begriffs ‚Bevölkerungsaustausch‘: Der vermeintliche Austausch der ‚einheimisch-deutschen‘ Bevölkerung durch Migrations- und Fluchtbewegungen. „Stillschweigend vorausgesetzt wird hierbei die Existenz eines ethnisch definierten Nationalstaats.“ Ein Synonym ist der Begriff ‚Umvolkung‘. Siehe: Niehr, Thomas (2017). Rechtspopulistische Lexik und die Grenzen des Sagbaren. bpb. https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtspopulismus/240831/rechtspopulistische-lexik-und-die-grenzen-des-sagbaren)) umkehren. Wer so spricht, übernimmt Rhetoriken, die an die des NS-Regimes anknüpfen.
Frauen werden in diesen Narrativen in die traditionelle Mutterrolle zurückgedrängt, während ihnen ihre sexuelle Selbstbestimmung abgesprochen wird. Andere nicht-binäre Geschlechter oder trans Frauen und trans Männer sind wahlweise widernatürlich und bedrohlich oder nicht existent. Das Thema häusliche Gewalt bremst antifeministische Familienpolitik aus. Denn Maßnahmen gegen häusliche Gewalt erfordern häufig ein Eingreifen von externen Personen und des Staates – ein rotes Tuch für Antifeminist*innen, die individuelle „freie“ Entscheidungsmacht in der Familie als höchstes Gut darstellen. Deswegen spielen sie Gewaltformen herunter und kritisieren entsprechende Gegenmaßnahmen. So verhöhnen sie die Reform des Sexualstrafrechts zum Beispiel mit der Falschbehauptung, dass es Vergewaltigungen in der Ehe gar nicht geben könne.
Genauso beliebt ist, mit dem Finger auf „die Anderen“ (Stichwort „Ehrenmorde“((Erklärung des Begriffs ‚Ehrenmord‘: Laut Bundeskriminalamt „Tötungsdelikte, die im Kontext patriarchalisch geprägter Familienverbände oder Gesellschaften vorrangig von Männern an Frauen verübt werden, um die aus Tätersicht verletzte Ehre der Familie oder des Mannes wiederherzustellen […] In vielen Fällen würde die gleiche Tat, begangen in einem standarddeutschen Umfeld, Familientragödie oder Beziehungstat genannt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verwendet für solche Taten den Begriff Femizid.“ Siehe: Neue deutsche Medienmacher*innen (o.J.). Ehrenmord. https://glossar.neuemedienmacher.de/glossar/ehrenmord/))) zu zeigen, um vom gesamtgesellschaftlichen Problem abzulenken.
Wie sieht die Realität aus?
Studien zeigen, dass die meisten geschlechtsspezifischen Gewalttaten in der Familie und in Partnerschaften verübt werden.((European Union Agency for Fundamental Rights (2015). Violence against women: an EU-wide survey. Main results. https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2014-vaw-survey-main-results-apr14_en.pdf
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2004). Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland. Zusammenfassung zentraler Studienergebnisse. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/studie-lebenssituation-sicherheit-und-gesundheit-von-frauen-in-deutschland-80694)) Es wird davon ausgegangen, dass jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erfährt. Jede Vierte hat Gewalt durch einen (Ex-)Partner erlebt.((Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2020). Häusliche Gewalt. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeusliche-gewalt/haeusliche-gewalt-80642 und: https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/infothek/gewalt-gegen-frauen/gewalt-gegen-frauen-merkmale-und-tatsachen.html)) Für viele Betroffene ist es nicht leicht, sich an Beratungsstellen zu wenden oder die Gewalt bei der Polizei anzuzeigen – aus mehreren Gründen: Zum einen gibt es bürokratische Hürden, die den Schritt erschweren. Zum anderen werden Betroffene häufig nicht ernst genommen und Täter*innen vom nahen Umfeld geschützt, weil der Anschein einer „funktionierenden Familie“ gewahrt werden soll. Daher kann davon ausgegangen werden, dass die Dunkelziffer für häusliche Gewalt sehr hoch ist.((Die Bundesregierung (2020). Häusliche Gewalt nimmt zu. https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/partnerschaftsgewalt-1809976)) Zudem spielen auch erlernte „traditionelle“ Beziehungsmuster eine Rolle. Viele Gewaltformen, vor allem nicht-körperliche, sind in der Gesellschaft normalisiert und werden zu wenig öffentlich und privat diskutiert. Das kann dazu führen, dass Betroffene das vermeintliche Wohl der Familie vor ihr eigenes stellen.((Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2004). Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland. Zusammenfassung zentraler Studienergebnisse. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/studie-lebenssituation-sicherheit-und-gesundheit-von-frauen-in-deutschland-80694))
Das wahre Gesicht antifeministischer Familienpolitik
Antifeminist*innen präsentieren sich gerne als Beschützer*innen familiärer Werte. Wenn es aber darum geht, Familien zusammenzuführen, welche die gegenseitige Unterstützung in einem neuen Land dringend brauchen, wollen sie von ihrem sonst so klaren Bekenntnis zur Familie nichts mehr wissen. Familiennachzug im Kontext von Flucht und Migration? Nicht mit ihnen.((T-Online (2021). AfD stellt sich gegen “jeglichen Familiennachzug für Flüchtlinge”. https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/parteien/id_89823504/afd-stellt-sich-gegen-jeglichen-familiennachzug-fuer-fluechtlinge-.html))
Antifeminist*innen kämpfen also nicht für die Freiheit der Familie, sondern für die Wahrung der patriarchalen Gesellschaftsordnung. Vor allem bei der extremen Rechten kommt völkisch-nationales, eugenisches((Erklärung des Begriffs ‚eugenisch‘: „Die Geschichte von Eugenik und ‚Rassenhygiene‘ beginnt im 19. Jahrhundert. […] Um eine ‚Degeneration‘ des Volkes zu verhindern und die Höherentwicklung der Menschheit zu fördern, sollten unerwünschte Bevölkerungsgruppen durch Sterilisation oder Selektion von Neugeborenen ‚ausgemerzt‘ (‚negative Eugenik‘), erwünschte hingegen durch bevölkerungspolitische und sozialstaatliche Maßnahmen unterstützt werden (‚positive Eugenik‘). […] Die ‚Rassenhygiene‘ gehörte zu den zentralen Elementen der nationalsozialistischen Weltanschauung.“ Siehe: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas (o.J.). Die nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde. Eugenik / „Rassenhygiene“. https://www.t4-denkmal.de/Eugenik-Rassenhygiene & https://www.t4-denkmal.de/Rassenhygiene-im-Nationalsozialismus)) Gedankengut hinzu, welches die Fortpflanzung bestimmter Menschen fördern und anderer verhindern will – eine Weiterführung des faschistischen Weltbildes des Nationalsozialismus.
Feministische Forderungen
1. Niedrigschwellige und betroffenenorientierte Hilfe
Geschlechtsspezifische Gewalt geschieht in Deutschland vor allem zuhause und im nahen sozialen Umfeld, also dort, wo sich Menschen eigentlich am sichersten fühlen sollten. Druck aus der Familie, bürokratische Hürden, gesellschaftliche Normen und Abhängigkeiten machen es Betroffenen schwer, sich aus der Gewalt zu lösen und sich z.B. Hilfe zu suchen. Beratungsangebote müssen daher so niedrigschwellig wie möglich und für alle erreichbar sein.
Aber nicht alle Gewaltbetroffenen befinden sich in der selben Ausgangslage. Es kommt immer wieder vor, dass Menschen von Meldestellen und Behörden nicht ernst genommen oder diskriminiert werden. Daher braucht es langfristige Schulungen für die Zuständigen, um die Unterstützungsangebote diskriminierungsfreier und betroffenenorientierter zu gestalten.
2. Gesellschaftliche Veränderungen
Geschlechtsspezifische Gewalt ist in unserer Gesellschaft immer noch viel zu normalisiert. Viele verharmlosen die Gewalt und können oder wollen sich nicht vorstellen, dass diese in Deutschland ein schwerwiegendes Problem darstellt. Hinter dieser Ablehnung stehen Machtstrukturen, die hinterfragt werden müssen.
Schon in Kitas und Schulen braucht es Bildungsprogramme für gewaltfreies Verhalten und eine kritische Auseinandersetzung mit „typischen“ Rollenbildern. Aber auch Erwachsene müssen sich ihren Vorstellungen von Geschlechterklischees stellen. Nur als Gesellschaft können die Strukturen, die geschlechtsspezifische Gewalt möglich machen, zusammen langfristig abgebaut werden.
3. Klare Kante gegen Queerfeindlichkeit((Erklärung des Begriffs ‚Queerfeindlichkeit‘: „Queerfeindlichkeit bezeichnet die Diskriminierung von queeren Menschen“, also z.B. Menschen, die nicht heterosexuell und/oder cis geschlechtlich sind. Siehe: Queer-Lexikon (o.J.). Queerfeindlichkeit. https://queer-lexikon.net/2020/04/29/queerfeindlichkeit/ & Queer-Lexikon (o.J.). Cis. https://queer-lexikon.net/2017/06/15/cis/)), Rassismus und rechtsextremes Gedankengut
Das Thema Familie und Selbstbestimmung betrifft alle. Umso weniger darf die Gesellschaft Antifeminist*innen die Deutungshoheit überlassen. Was bedeutet das konkret? Erstens: Familie ist, wer sich als Familie versteht, Geschlecht und Sexualität spielen dabei keine Rolle. Zweitens: Keine Ablenkungsmanöver durch den alleinigen Fokus auf Gewalt in migrantisierten((Erklärung des Begriffs ‚migrantisiert’: „Der Begriff ‚migrantisiert‘ wird für Personen in Bezug auf einen zugeschriebenen oder tatsächlichen Migrationshintergrund verwendet. Migrantisierung geht mit Prozessen der Rassifizierung und Praxen der Andersmachung (Othering) einher, die Menschen zu Fremden machen und sie an einen Herkunftsort außerhalb Deutschlands bzw. Europas verweisen.“ Siehe: Rise Jugendkultur (o.J.). Migrantisierte Menschen. https://rise-jugendkultur.de/glossar/migrantisierte-menschen/)) Familien; häusliche Gewalt existiert überall. Drittens: Nie wieder völkisch-nationales Gedankengut, welches die Fortpflanzung bestimmter Menschen fördern und anderer verhindern will.