»Feminismus regiert die Welt«

Auf einem lila gefärbten Erdball, der an den Strippen einer Puppenspieler*innen-Hand hängt, prangt ein leuchtendes Venus-Zeichen. Davor steht eine männliche Plastikfigur mit aufgerissenen Augen und abwehrender Armhaltung.

Eine Verschwörungserzählung kommt selten allein. Antisemitismus in antifeministischen Narrativen benennen und bekämpfen!

Diesen Beitrag teilen

»Feminismus regiert die Welt«

Das Zusammenspiel von Antifeminismus und Antisemitismus

„Das Judentum hat den Feminismus erfunden, um die Welt zu kontrollieren.“ So aberwitzig dieses Narrativ klingt, reiht es sich doch in einen ganzen Reigen unterschiedlichster Verschwörungserzählungen ein, die in vielen Fällen auf antisemitischen Füßen stehen. Ein Grundgedanke, auf den man beim Aufdröseln solcher Ideologien immer wieder stößt, ist der vermeintliche „Große Austausch“((Erklärung des Begriffs ‚Großer Austausch‘: „Verschwörungstheorie […], dass Regierungen und/oder ‚geheime Mächte‘ daran arbeiteten, die kritische, einheimische (völkisch-rassistisch definierte) Bevölkerung auszutauschen gegen eine Bevölkerung aus Migrant*innen, die leichter zu lenken sei.“ Siehe: Belltower (o.J.). Lexikon: Großer Austausch. https://www.belltower.news/lexikon/grosser-austausch/)): Damit ist gemeint, dass die „einheimische“((„Einheimisch“ beruht hier auf einer völkisch-rassistischen Definition.)) durch eine migrierte Bevölkerung ersetzt wird. Die Schuldigen dafür haben Verschwörungsanhänger*innen natürlich auch schon ausgemacht: Neben der Migration steht für sie vor allem „die westliche Frau“ im Fokus, denn die wolle keine Kinder mehr bekommen. Verantwortlich dafür sei wiederum der Feminismus, eine Erfindung der vermeintlichen „jüdischen Elite“ – eine klar antisemitische Chiffre. Wer an dieser Stelle schon anfängt zu verzweifeln: vollstes Verständnis. Doch es geht noch weiter! Die genannte Elite hetze nämlich durch die Verbreitung feministischer Ideen Frauen gegen Männer auf, was zur letztendlichen Zerstörung der „traditionellen Familie“ und langfristig zum „Volkstod“((Erklärung des Begriffs ‚Volkstod‘: „Bereits im Nationalsozialismus war es die völkische Begründung für die Bevölkerungspolitik sowie ‚Rassenhygiene‘ der NS-Ideologie – rechtsextreme Gruppierungen beziehen sich auch nach 1945 noch auf den Begriff des ‚Volkstods‘. Sie stellen die Veränderungen der Bevölkerungsstruktur als rassistische Apokalypse dar. Dahinter steckt die für die rechtsextreme Ideologie zentrale Konstruktion der ‚Volksgemeinschaft‘. […] In der rassistischen Idee einer ‚homogenen Gemeinschaft‘ sind biologistische Vorstellungen der Mutter- und Vaterschaft zentral.“ Siehe: Petersen, Janna & Hindemith, Stella (2015). Die Kampagne „Volkstod“ – Das aktuelle Thema des demographischen Wandels wird umgedeutet. Belltower News. https://www.belltower.news/die-kampagne-volkstod-das-aktuelle-thema-des-demographischen-wandels-wird-umgedeutet-40148/)) führe. Und schon die Jüngsten müssten bangen, denn über die Einführung einer „Gender-Ideologie“ würden bereits Kinder indoktriniert und umerzogen.((Fedders, Jonas (2017). „Die Rockefellers und Rothschilds haben den Feminismus erfunden…“ Zum Verhältnis von Antifeminismus und Antisemitismus. https://feminismusundoffentlichkeit2017.files.wordpress.com/2017/07/kurzabstract_fedders1.pdf)) Die Gedankenkapriolen finden ihren Abschluss in der Aussage, dass Feminismus das Vehikel einer „jüdischen Elite“ sei, welches diese nutze, um die deutsche Gesellschaft zu kontrollieren und zu schwächen.

Doch damit nicht genug: Zur antifeministischen Weltanschauung gehört auch die „natürliche und naturgegebene Ordnung der Geschlechter“. In diesem Bild sind „richtige“ Männer stark, aggressiv, den „verweichlichten“ Männern und allen anderen überlegen. Sie haben die Aufgabe, Familie und Volk zu verteidigen. „Richtige“ Frauen sind hingegen schwach, fürsorglich, verführerisch und untergeordnet. Andere Geschlechtsidentitäten kommen nicht vor oder werden als Bedrohung der „natürlichen Ordnung“ gesehen. Der Feminismus führe nun dazu, dass Frauen nicht mehr ihrer „naturgegebenen Bestimmung“ folgen dürften und Männer verweichlichten.((Hermann, Melanie (2020). Antimoderner Abwehrkampf – Zum Zusammenhang von Antisemitismus und Antifeminismus. Institut für Demokratie und Gesellschaft. https://www.idz-jena.de/pubdet/wsd7-4)) Männerrechtler sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer „Krise der Männlichkeit“.((Wendebourg, Synka (2021). Männlichkeit in der Krise? Belltower News. https://www.belltower.news/antifeminismus-maennlichkeit-in-der-krise-116961/))

Gleichzeitig werden Feminist*innen als übermächtig konstruiert: Sie stellten zwar nur eine kleine, aber nichtsdestotrotz mächtige Minderheit dar, die gegen die Meinung der überwiegenden Mehrheit von nicht-feministischen Frauen handele. Eine kleine Minderheit, welche die Strippen zieht … Klingelt da etwas? Tatsächlich scheinen antisemitische Narrative als Blaupause gedient zu haben: In ihnen ist es die kleine Minderheit von Jüd*innen, die als vermeintliche Weltmacht dargestellt wird, in antifeministischen Erzählungen eben die kleine Minderheit der Feminist*innen. In beiden Fällen geht es darum, sie als „anders“, als Feinde im Inneren, oft im Geheimen agierend und „volkszerstörend“ zu markieren.

Wie sieht die Realität aus?

Die Verknüpfung von Antifeminismus und Antisemitismus ist kein neues Phänomen. Ab dem 19. Jahrhundert entwickelten sich die Frauen- und jüdischen Emanzipationsbewegungen. Die prompten Gegenreaktionen stuften diese Bewegungen als „Bedrohung der Nation“ ein und zeigten schon damals, wie antifeministische und antisemitische Einstellungen zusammenfinden.((Spicker, Rachel & Rahner, Judith (2020). Zum Verhältnis von Antisemitismus und Antifeminismus. In: Amadeu Antonio Stiftung (Hg.). Zivilgesellschaftliches Lagebild Antisemitismus Deutschland. https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2020/11/Lagebild_Antisemitismus_2020.pdf))

Im Kern stellen sich antifeministische und antisemitische Verschwörungsideologien klar gegen alles Moderne und Emanzipatorische sowie gegen Vielfalt. Menschen, die diesen Ideologien folgen, sehen sich selbst als Teil einer Schicksalsgemeinschaft (z.B. „westliche weiße Männer“), deren Existenz bedroht ist.((Hermann, Melanie (2020). Antimoderner Abwehrkampf – Zum Zusammenhang von Antisemitismus und Antifeminismus. Institut für Demokratie und Gesellschaft. https://www.idz-jena.de/pubdet/wsd7-4)) Eine extreme Form des Feminismus- und Frauenhasses zeigt sich in der „Incel“-Szene, deren Anhänger zum Teil Frauen in Konzentrationslager stecken wollen und weltweit bereits mehrere tödliche Anschläge verübt haben.((Kirstein, Maximilian (2020). Veronika Kracher über Incels und ihre Ursprünge in der patriarchalen Gesellschaft. Belltower News. https://www.belltower.news/rezension-veronika-kracher-ueber-incels-und-ihre-urspruenge-in-der-patriarchalen-gesellschaft-107881/
Potter, Nicholas (2020). „Incels sind die Spitze des patriarchalen Eisbergs“. Belltower News. https://www.belltower.news/interview-mit-veronika-kracher-incels-sind-die-spitze-des-patriarchalen-eisbergs-104557/)) Auch heute noch definiert sich die männliche Identität für viele über die Abwertung von Frauen bzw. über die Ablehnung und Abwertung von angeblich weiblichen Attributen. Abgrenzung von Weiblichkeit bis hin zu Frauenhass und Misogynie dienen so letztendlich dazu, sich des eigenen männlichen Status‘ zu versichern.((Oestreich, Heide (2009). „Männer haben Angst vor Frauen“. taz. https://taz.de/Psychologe-Rolf-Pohl-ueber-Sexismus/!5166706/))

Männlichkeit in Krisenzeiten

Ähnliche Entwicklungen lassen sich bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen beobachten: Die Corona-Pandemie hat weltweit Unsicherheit und Angst ausgelöst. Die gemeinsame Identität als „Kämpfer gegen die Corona-Diktatur“((Amadeu Antonio Stiftung (2021). Entschwörung konkret. Wieviel Geschlecht steckt in Verschwörungsideologien? https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2021/08/Entschwoerung_konkret_web.pdf)) verleiht gerade Männern das Gefühl von Stärke und Kontrolle und kompensiert die durch die Pandemie erzwungene Auseinandersetzung mit den eigenen körperlichen Grenzen.

Feministische Forderungen

1. Gemeinsam Verschwörungsideologien „entschwören“

Verschwörungsideologien verbreiten sich vor allem digital rasant und zeigen sich schnell auch im eigenen Umfeld. Gerade das Anreden gegen Argumente von Menschen, die einem näherstehen, kann sehr zermürbend sein. Doch das Vertrauensverhältnis erleichtert es unter Umständen, einen Zugang zum Gegenüber zu finden. Hilfe beim Argumentieren bieten eine ganze Reihe von Handreichungen zu Verschwörungsideologien.((Amadeu Antonio Stiftung (2021). Down the rabbit hole. Verschwörungsideologien: Basiswissen und Handlungsstrategien. https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2021/06/DownTheRabbitHole_web.pdf
Amadeu Antonio Stiftung (2021). Entschwörung konkret. Wieviel Geschlecht steckt in Verschwörungsideologien? https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2021/08/Entschwoerung_konkret_web.pdf
Bundeszentrale für politische Bildung (2020). Was tun gegen Verschwörungsideologien? https://www.bpb.de/lernen/formate/322035/was-tun-gegen-verschwoerungsideologien
Die Bundesregierung (o.J.). Was tun, wenn Familie oder Freunde an Verschwörungsmythen glauben? https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/umgang-mit-desinformation/umgang-verschwoerungstheorien-1790886)) Häufig ist es aber auch sinnvoll, sich externe Hilfe zu holen, so zum Beispiel bei einer der Beratungsstellen im ganzen Bundesgebiet für hilfesuchende Angehörige.((Beispiele für Beratungsangebote:
Veritas Berlin: https://veritas-beratung.de/
Zebra-BW: https://zebra-bw.com/
Gegenverschwörung Hamburg: https://gegenverschwoerung.hamburg/
Fachstelle für Politische Bildung und Entschwörung: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/projekte/fachstelle-fuer-politische-bildung-und-entschwoerung/
Debunk: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/projekte/debunk/))

Zusätzlich sind aber auch breitangelegte Bildungsprogramme nötig, die Menschen in die Lage versetzen, Falschinformationen zu durchschauen und richtig einzuordnen. Dazu gehören sowohl entsprechende Unterrichtsinhalte als feste Bestandteile in der Schulbildung wie auch niedrigschwellige Kampagnen zur Aufklärung von Erwachsenen.((Amadeu Antonio Stiftung (2020). Umgang mit Verschwörungsideologien im Unterricht und in der Schule. https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2021/04/Broschuere_VI_Schule_2021.pdf)) In der Betroffenenberatung und in den Bildungsprogrammen wird die Rolle von Geschlecht in Verschwörungsvorstellungen bislang noch so gut wie gar nicht berücksichtigt. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

2. Antisemitismus klar benennen – in Verbindung mit Antifeminismus und überall

Antisemitismus findet sich in den meisten Verschwörungsideologien wieder – auch in antifeministischen Narrativen. Dieser muss klar benannt werden. Es braucht mehr Wissen und Sensibilisierung zu antisemitischen Inhalten, um den darauf basierenden Verschwörungserzählungen widersprechen zu können.((Amadeu Antonio Stiftung (o.J.). Das können Sie gegen Antisemitismus tun. https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/antisemitismus/was-kann-ich-gegen-antisemitismus-tun/))

3. Deplatforming((Lüdecke, Robert (2020). Deplatforming wirkt: Sperrungen schaden rechtsextremen Accounts erheblich. Amadeu Antonio Stiftung. https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/deplatforming-wirkt-sperrungen-schaden-rechtsextremen-accounts-erheblich-64397/)) und klare Maßnahmen gegen digitale Hassgewalt

Der digitale Raum darf nicht als vermeintlich rechtsfreie Zone gelten. Verschwörungsideologien verbreiten sich heutzutage über gängige Plattformen wie z.B. WhatsApp oder Twitter. Radikale rechtsextreme Gruppen befeuern sich gegenseitig auf Telegram und Facebook. Gleichzeitig schaffen es weder die Anbieter*innen noch Gesetze, die Flut an digitaler Gewalt und Hass einzudämmen. Zum Schutz von Betroffenen und zur Radikalisierungsprävention sind mehr und effektivere politische Maßnahmen nötig.

Comments are closed.